Herbert-Werner Mühlroth s-a născut în 1963 la Jimbolia, a studiat germanistica, romanistica şi filosofie la Universitatea din Heidelberg şi la Freie Universität Berlin, obţinând titlul de Magister Artium şi activeaza ca autor liber-profesionist, traducător, publicist. Printre altele, a tradus în limba română romanul Die wunderbaren Jahre de Reiner Kunze şi a publicat primul Dicţionar român-aromân. În 2009 a apărut primul său volum de poezii, Nachtlaub, la Marien-Blatt Verlag, Lübeck.
foto: Doina Uricariu şi Herbert-Werner Mühlroth
„Was könnte die Gesellschaft erneut erschüttern, damit sie eine neue Chance zur Veränderung bekommt?“
I. Rumänien auf Umwegen
Ich lande auf dem Flughafen in Bukarest. Nachdem ich das Flughafengebäude verlasse, sehe ich mich nach einem Taxi um. Ein Rumäne, den ich schnell als Roma identifiziere, hängt sich an mich und beschwört mich, sein Taxi zu benutzen. Wild gestikulierend vermittelt er mir, dass er eine Familie zu ernähren habe. Ich winke ab. Er lässt sich aber nicht abschütteln. Er verfolgt mich und redet pausenlos auf mich ein. Ich sage ihm, dass ich für die Fahrt bis zum Triumphbogen nicht mehr als 50 Lei (ca. 14 Euro) bezahlen werde. Er ereifert sich: „Die Benzinpreise sind schon wieder gestiegen, damit können wir nicht überleben (…).“ Ich sage ihm, dass er mit 50 Lei gut bedient wäre. Er schlägt die Hände vors Gesicht und lamentierte: „Mein Gott, dann müssen wir alle vor Hunger sterben.“
Der Flughafen von Bukarest ist bei den Taxifahrern sehr beliebt, denn da lässt sich gutes Geld machen. Grundlage dafür ist vor allem die Naivität der Neuankömmlinge. Hinzu kommt, dass die meisten einfach nur von hier weg und nicht belästigt werden wollen. Daher sind sie gerne bereit, überhöhte Preise zu bezahlen. Ich blicke um mich und kann auf die Schnelle keine bessere Möglichkeit ausfindig machen. Die Taxifahrer haben sich alle unter einander abgesprochen, sie gehören zu Cliquen, die sich möglichst autonom mit Fahrgästen versorgen. Manche zahlen Steuern, manche machen ganz einfach Schwarzfahrten. Mein Taxifahrer gestikuliert immer noch weiter und beschwört mich, sein Angebot anzunehmen. Er garniert dieses abermals mit einem ausführlichen Bericht über die Sorgen seiner Familie um das tägliche Überleben. Ich unterbreche ihn brüsk: Einverstanden! Ich ließ mich einfach erweichen. Es muss an der Nostalgie liegen, die ich für dieses Land verspüre, seit ich zu Ceauşescus Zeiten aus Rumänien geflüchtet bin.
Es überraschte mich kaum, als er nicht selbst ins Taxi stieg, sondern einen anderen heranwinkte, dem er mich sozusagen als Fracht anvertraute. Solche Leute nennt man eigentlich Schlepper. Wortlos ging er von dannen, als er diesen Deal eingefädelt hatte. Bevor ich einstieg, kam ein junges Roma-Mädchen und bat mich um einen Euro. Ich fragte es, was es damit machen wolle. Es sagte, es wolle ihn eintauschen. Ich fürchte eher, dass es ihn abgeben muss an denjenigen, der das erbettelte Geld einsammelt. Ich gab ihr den Euro, damit ich endlich von hier wegkomme. Ich schloss die Tür und wir fuhren los.
Der Fahrer fuhr in die Innenstadt wie eine besengte Sau. Ich genoss die Geschwindigkeit und den unorthodoxen Fahrstil. Vordrängeln, Überholen, wo es nicht erlaubt ist, usw., da sie mir einen Vorteil gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern verschaffte. Er hatte jedoch keine Ahnung, wo sich die kleine Straße befand, wo er mich absetzen sollte. Er irrte umher und befragte zahlreiche Passanten und Kollegen. Auffällig war, dass man für eine Auskunft keinerlei Dank erwartete. Weder bedankte sich der Fahrer, noch erwartete der Befragte irgendeine Erwiderung. Nach vielen Umwegen erreichen wir endlich das Ziel.
II. Die Taxifahrer-Philosophen und ein kleines Erdbeben
Ein ganzes Jahr hatte ich daran gearbeitet, um die Publikation des aromunischen Autors Apostol N. Caciuperi vorzubereiten, an dessen Werk mein Herz hing. Ich hatte mir zwei Wochen vorgenommen, um meiner Vorarbeit die Realisierung folgen zu lassen. Ein ehrgeiziges Unternehmen, wie sich schnell herausstellte. Hier in Bukarest versank ich in Arbeit und an irgendeine Freizeitgestaltung war in den ersten beiden Wochen nicht zu denken. Mein einziger Außenkontakt waren die Taxifahrer, die mich möglichst schnell zu irgendwelchen Zielen führen sollten, seien es nun Verlag, Druckerei oder einfach nur Supermärkte.
Der erste Taxifahrer, den ich mit rumänischer Währung bezahlte, erkannte in mir sofort den Ausländer, der Rumänisch mit deutschem Akzent sprach. „Aah, Deutschland.“ Er legte sofort los mit einem politischen Sermon erster Güte: „Unsere Politiker sollte man sofort exterminieren. Sie haben das Land verkauft und füllen nur ihre eigenen Taschen, während das Volk Hunger leidet. Wir haben nur Idioten, die am Ruder sind und das Land vollkommen ins Abseits führen.“ Seine Betrachtungen bettete er ein in die gesellschaftsphilosophische Betrachtung der rumänischen Gesellschaft und der conditio sine qua non des Rumänen. Ich war beeindruckt von der abgrundtiefen Unzufriedenheit dieses Taxifahrers, wohl wissend, dass es den Taxifahrern immerhin noch etwas besser geht als der großen Masse.
Der zweite und der dritte Taxifahrer stimmten in diesen Kanon ein. Sie schimpften alle fürchterlich auf die Politik, auf die erschreckende Korruption, auf diejenigen, die durch Macht oder Privilegien legitimiert sind und sich rücksichtslos die Taschen füllen: „Die haben uns alle abgezockt.” Sie sprachen vom Scheelen, (das ist der Staatspräsident Traian Băsescu) und von dem Porno-Zwerg (das ist der Ministerpräsident Emil Boc) so, als hätten diese ihnen die Mitgift ihrer Tochter geklaut.
In all ihren Suaden erkannte ich jedoch, dass sie die eigentliche Stimme des geknechteten und entrechteten Volkes sind. Sie nennen das Übel beim Namen, sie zerren die Verantwortlichen für das Desaster, das Rumänien derzeit erlebt, zur Verantwortung. Sie sind Philosophen, wenn auch nur in der symbolischen Tonne, die sich für sie zu einem veritablen Gefährt ausgeweitet hat, in dem sie über die Missstände zumindest philosophieren können.
Es ist die Ausnahme, dass mir ein Taxifahrer erzählt, dass er sich gewerkschaftlich engagiert und, aufgrund dieses Engagements seinen Job verloren hat. Er sagte mir, dass die Massen mobilisiert werden müssten, dass neue Hoffnung für das Volk erzeugt werden müsse, dass Rumänien einen katastrophalen Umweg nach 1989 beschritten habe. Ich sagte, dass eine Partei, die dies zu tun in der Lage ist, einen Zulauf haben würde, der seine Vorstellungen sprengt. Er war absolut mit mir einverstanden. Er hat genau dies getan: sich eingesetzt, nicht die Hände in den Schoß gelegt, sich exponiert. Mit dem Erfolg, dass er nun Taxi fahren muss, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Rumänen lassen sich gegenwärtig mobilisieren bei einem Konzert von Shakira, wenn es jedoch um Politik geht, dann lassen sie ihre Köpfe hängen: Wie in ihrer Volksballade: Als der rumänische Schäfer von seinem weissagenden Lämmchen erfährt, dass er umgebracht werden soll, dann wählt er als erstes den Ort, an dem sein Grab sein soll. Ein Fatalismus, der sich in der Gesellschaft Rumäniens widerspiegelt.
Ich war von dem durch die Taxifahrer-Philosophen abgelieferten Stimmungsbild derart geschockt, wie ich es in den letzten 20 Jahren, in denen ich Rumänien immer wieder besuchte, noch nie gewesen bin. In der ersten Nacht wurde ich in meinem Bett erschüttert: Ich wurde ca. 20 cm nach links geschleudert. Am Morgen hieß es dann: Es sei ein Erdbeben der Stärke 4,9 gewesen. Kein Grund zur Beunruhigung. Was mich mehr beschäftigt, ist:
„Was könnte die rumänische Gesellschaft erneut erschüttern, damit sie eine neue Chance zur Veränderung bekommen?“ – Dies formuliert Marius Ghilezan, einer der Wenigen, die sich kritisch mit den Fragen der gesellschaftlichen Ethik beschäftigen, der zwei wichtige Bücher geschrieben hat, die direkt in das Gewissen der Rumänen geschrieben sind. Es ist dies kein Taxifahrer-Philosoph, sondern einer, der die rumänische Gesellschaft durch Idealismus und Schaffenskraft wieder auf den rechten Weg zu bringen versucht. – Was ja nur durch ein kleines Erdbeben möglich ist.
III. Im Sumpf der Securitate
Tatsache ist, dass die wirtschaftliche Krise Rumänien voll im Griff hat. Durch den Beitritt zur Europäischen Union wurde diesem Land eine ungeahnte Chance eröffnet, die jedoch kläglich vergeben wurde. Korruption und eigene Machtinteressen verhinderten, dass diese Chance genutzt wurde. Die Folge davon war, dass die Rumänen, deren heiliger Spruch es bis dahin gewesen war: „Wir verkaufen unser Land nicht!”, sich auf Gedeih und Verderb den ausländischen Investoren, die auf kurzfristigen Profit aus waren, ausgeliefert haben. Nun muss man die rumänischen Firmen in den Gewerbegebieten mit der Lupe suchen. Infolge der Wirtschaftskrise beschloss die Regierung, dass die meisten Arbeitnehmer und die Rentner eine Kürzung ihrer Bezüge von bis zu 25 % hinnehmen müssen. Zahlreiche Rumänen sind nur Lohnsklaven, die mit Hungerlöhnen abgespeist werden, während ausländische „Investoren“ den Reibach machen.
Die Lebensmittelpreise stehen denjenigen in Deutschland keineswegs nach. Nur das mickrige Einkommen, das von den internationalen Statistiken hochgeschönt wird, lässt die Schlussfolgerung zu, dass es den meisten Rumänen absolut unmöglich ist, derartige Preise zu bezahlen. Wie soll es weitergehen? Keiner weiß dies so genau. Aufgrund der für den Sommer angekündigten Dürre sollen die Lebensmittelpreise abermals steigen. Wie die Bevölkerung dabei überleben soll?
Tatsache ist, dass Rumänien sich auf dem Holzweg befindet. Einem fatalen Weg, der das Land weit zurückwirft. Ich habe Rumänien derart resigniert, hoffnungslos, ja zynisch nur in den Zeiten der kommunistischen Diktatur erlebt.
Der ehemalige Dissident Doru Braia, welcher eine Fernsehsendung mit dem Titel „Talk-Shock“ macht, beklagte, dass „Punkt 8 der Proklamation von Temeswar (Timişoara)“ niemals angewandt wurde. Diese besagte, dass sich die Securitate-Mitarbeiter für einige Jahre von der Einmischung in die politischen Belange des Landes fernhalten sollten. Dies erwies sich jedoch als unrealisierbar. Heute, so Doru Braia, sind sie die unbestrittenen Führer des Schicksals der Rumänen und bestimmen die Geschicke des Landes.
Braia stellt fest, dass die rumänische Gesellschaft sich vollkommen festgefahren hat: „Heute, da wir nicht mehr aus noch ein wissen (ob wohl Europa dies weiß?), haben wir uns festgefahren. Die Gewöhnung an das Böse hat uns so richtig festgefahren in dem Sumpf, in dem wir uns ´zurechtgefunden` haben, und was uns daraus erheben könnte, ist nahezu unsichtbar. Die Antriebsmotoren dieser Gesellschaft sind einer gemeinsamen Grippewelle verfallen und die „Mechaniker“, die dies reparieren könnten, sind kaum noch aufzufinden, während unsere Intelligenz vor der vorgefundenen Realität kapituliert, da sie unbewusst die im Sumpf Festgefahrenen verurteilt.
Die aus Rumänien stammende Nobelpreisträgerin für Literatur, Herta Müller ,schreibt über die Securitate, den Geheimdienst im kommunistischen Rumänien: „Diese Menschen haben so viel Einfluss gewonnen, dass es ihnen gelungen ist, das alte Netzwerk der Macht wieder in Funktion zu setzen (…) In Rumänien lebt die Diktatur ein zweites Leben. Ohne Ideologie. Ohne Sozialismus.“
Auch in meiner Securitate-Akte, die ich nun endlich einsehen durfte, konnte ich keinerlei Material auffinden, das sich aufgrund der Eintragungen in der Akte des rumäniendeutschen Journalisten William Totok ebenda hätte befinden müssen: Sollte ich mich ihm näheren, es war im Jahre 1986, dann würde ich von zwei Sekuristen zu Boden gestoßen und verhaftet. Ich wurde damals, bei meinem Rumänien-Besuch, zwei Wochen lang observiert und auf Schritt und Tritt begleitet. Am Grenzübergang wurde ich zur Seite genommen und man sagte mir, dass ich keine Dummheiten machen sollte, denn es könnte sehr leicht ein Autounfall geschehen.
Rumänien im Sumpf der Securitate – 20 Jahre nach der Revolution, der geklauten Revolution. Es ist Zeit für ein neues Erdbeben. Stärke 8,9.
IV Biedermann und die Brandstifter
Aber, woher soll die Hoffnung kommen? Marius Ghilezan analysiert präzise die Folgen der kommunistischen Ideologie für die rumänische Gesellschaft sowie die nicht stattgefundene „Vergangenheitsbewältigung“. Die rumänische Gesellschaft hat das rechte Maß vollkommen aus den Augen verloren. Die kommunistische Ideologie wurde hinübergerettet in die postkommunistische Zeit und sie hat verheerende Wirkungen für die rumänische Gesellschaft gezeitigt. Der Kommunismus hat die rumänische Gesellschaft auf Jahrzehnte hin verpestet, indem er sämtliche gesellschaftlichen und ethischen Werte nachhaltig zerstört hat. Die ehemaligen Securitate-Schergen haben die Privatisierung der staatlichen Betriebe allein dafür genutzt, um sich selbst maßlos zu bereichern. Nun befinden sie sich an den Schaltstellen der Macht und haben dem Volk nichts anderes mitzuteilen als ihren abgrundtiefen Zynismus, begleitet von einer Inhumanität, die seinesgleichen sucht.
Dieser Barbarismus äußert sich völlig legitim im heutigen Rumänien. Jeder weiß, dass Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen, nicht zugunsten von profitablen Blocks ausradiert werden können. Dennoch können sie im heutigen Rumänien dafür instrumentalisiert werden. Wie? – Indem man einfach Feuer legt. Ich habe in der kurzen Zeit nur zwei denkmalgeschützte Häuser gesehen, die abgefackelt wurden von einem Magnaten, der das Vertrauen des rumänischen Präsidenten genießt. Der Denkmalsschutz wird locker ausgehebelt, indem man Feuer legt. – Der Biedermann als Brandstifter – getragen vom Präsidenten. Sollte da nicht das Vertrauen in das System vollkommen verlorengehen?
Woher soll das Volk Hoffnung schöpfen? Im Theater spielte man „Die Blonde, der Scheele und der Zwerg“. – Eine eindeutige politische Anspielung, denn es handelt sich dabei um den Staatspräsidenten, den Ministerpräsidenten und Elena Udrea, der Ministerin für Tourismus und Regionalentwicklung. Da hilft auch nicht, dass es den ersten Fall der Zensur nach 1989 darstellt, dass der Regisseur bedroht wurde. Die Personen Băsescu, Boc und Udrea kommen in dem Stück gar nicht vor. Es werden Gemeinplätze der Gesellschaftskritik darin abgeklappert, es soll viel gelacht werden. Das Theaterstück ist zwar eine Gesellschaftssatire, aber politisch gesehen ist es nichts weiter als ein Fake.
V. Die Monarchie – Das zivilisierte Gesicht Rumäniens
Meinen ersten Ausgang hatte ich am 10. Mai. Es war der Tag der rumänischen Monarchie, der im Palais Elisabeta in Bukarest gefeiert wurde. Der 10. Mai war nahezu 100 Jahre lang der Rumänische Nationalfeiertag und steht für drei wichtige Ereignisse: Am 10. Mai 1866 legte der erste rumänische König Carol I (von Hohenzollern-Sigmaringen). seinen Treueschwur vor dem Rumänischen Parlament ab. Am 10. Mai 1877 verkündete Carol I. die Unabhängigkeit Rumäniens und am 10. Mai 1891 als König von Rumänien gekrönt.
In der rumänischen Presse habe ich vergeblich nach Berichten über den 10. Mai 2011, über den Tag der rumänischen Monarchie gesucht, sie wurden einfach verschwiegen. Tatsache ist, dass der König Mihai I. an diesem Tag mehrere Hundert, wenn nicht gar Tausende seiner Anhänger empfangen hat. Er begab sich in deren Mitte und er hörte von allen, ja von allen Seiten: „Es lebe der König!“ – Ich fühlte mich zunächst in einem falschen Film. Ich habe Rumänien ja nur im Stadium des Kommunismus erlebt. Rumänien jetzt erleben zu dürfen, wie es dem König huldigt, dies war für mich eine völlig neue Erfahrung.
Der König hatte eingeladen und die Menschen erschienen alle in zivilisierter Kleidung. Es herrschte eine aufgeräumte Stimmung. Der König begab sich unter sein Volk. Weit über zwei Stunden präsentierte er sich hautnah seinen Anhängern. Für einen 90-Jährigen wohl eine enorme Anstrengung. Als ich ihn sah, spürte ich, dass von ihm eine außergewöhnliche Kraft ausging: Dieser König liebt sein Volk, das wusste ich sofort. Und ich erkannte: Dies ist das zivilisierte Gesicht Rumäniens. Wenn Rumänien gerettet werden kann, dann nur durch die Monarchie. Sie allein ist in der Lage, diesem fehlgeleiteten und abgezockten Volk Stabilität, Sicherheit und Zukunftsperspektive zu verleihen.
Ich wurde gezwungen, mich mit einem „Dorobanţ“ abzulichten. Er gehört zu der „Leibgarde” des Königs, die ja aus Freiwilligen besteht. Er ist eigentlich Maler. Er lud mich zu einem Atelierbesuch ein. Leider fehlte mir die Zeit dazu.
VI. Der Unterkiefer oder die Suche nach der verlorenen Identität
Ich habe mir sagen lassen, dass König Mihai I. in den Kriegswirren des II. Weltkrieges und danach sehr vielen Menschen das Leben gerettet hat. Er hatte am 30. Dezember 1947 abgedankt, weil die Kommunisten, unterstützt durch ihre sowjetischen Freunde mit der Ermordung von 1.000 Studenten drohten, die nach einer anti-kommunistischen Demonstration verhaftet wurden. Er unterschrieb die Abdankungsurkunde, die formaljuristisch gar keinen Wert hat. Eigentlich wurde die Monarchie niemals rechtlich aufgehoben. Faktisch ist Rumänien immer noch eine Monarchie. Darüber sollten die Rumänen sich wirklich Gedanken machen.
Zu den zahlreichen Menschen, die König Mihai I. gerettet hat, zählt auch die Mutter der rumänischen Schriftstellerin Doina Uricariu. Diese wartete 1945 in Bessarabien, das an die Sowjetunion gefallen war, zusammen mit vielen anderen Menschen auf die Deportation nach Sibirien. König Mihai I. ermöglichte durch seine Unterschrift die Heirat der Bessaraberin ohne Mitgift mit einem kriegsversehrten rumänischen Offizier. Dieser wurde durch eine Kugel so schwer verletzt, dass sein Unterkiefer in 39 Operationen wiederhergestellt werden musste. Diese auf derart unnatürliche Weise im Jahre 1945 zustande gekommene Eheschließung wurde 1949 geschieden. Ein Jahr später wurde diese Ehe erneut geschlossen. Diesmal aber war es eine wirkliche Liebesheirat.
Das Buch von Doina Uricariu ist eine Metapher für die Suche nach der verlorenen Zeit, der verlorenen Geschichte, der verlorenen Identität Rumäniens, und zwar eines Rumäniens mit einem anderen Gesicht als das Hässliche des Kommunismus. Eingebettet in die Rekonstruktion der Geschichte der europäischen Monarchien behandelt sie die Entwicklungen nach dem II. Weltkrieg in Rumänien. Ein Desiderat, das der Erinnerung der Rumänen unschätzbare Dienste zu leisten vermag.
Zurückgekehrt im Gepäck mit den Werken meines aromunischen Autors, bin ich mir im Klaren, dass mein Aufenthalt in Rumänien erfolgreich gewesen ist. Ich kann nicht beurteilen, was daraus gemacht wird, ich kann nur sagen: „Ich habe euch diese Arbeiten zur Verfügung gestellt. Es liegt an euch, was ihr daraus macht.“
Das Erlebnis mit dem König jedoch hat mich nachhaltig entschädigt für die furchtbare Zeit des Ausharrens im kommunistischen Rumänien. Die Hoffnung stirbt zuletzt, zunächst muss sie jedoch gelebt werden.
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